Fahrradpendler: Auf dem Drahtesel ins Büro
Wie fahrt ihr jeden Tag zur Arbeit? Mit dem Auto? Vermutlich, denn pendeln mit dem Fahrrad ist für viele in Deutschland undenkbar. Das Auto ist noch immer unangefochtene Nummer 1 wenn es ums tägliche Pendeln zum Job geht. Als Radfahrer kaum zu glauben, denn sogar bei Strecken von unter 10 Kilometern wird lieber das Auto genommen. Das ist schade, denn meiner Meinung ist es viel entspannter und oft sogar schneller das Fahrrad zu nehmen. Im folgenden Artikel will ich einige Contra Argumente entschlüsseln und euch Tipps aus der Praxis geben.
Kurz zu mir: Ich fahre nun seit einigen Jahren quasi täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit. Im ersten Winter bin ich noch auf die Bahn ausgewichen, seit dem zweiten Winter fahre ich auch in der kalten Jahreszeit. Teilweise jedoch wieder kombiniert mit der Bahn. Falls ich im HomeOffice arbeite bringe ich zumindest meine zwei Kinder mit dem Fahrrad in die Kita. Ich fahre aber an mindestens fünf Tagen in der Woche mit dem Fahrrad, abgesehen von einigen Ausnahmen, wie Familienurlaub und Krankheit. Ich bestreite mittlerweile so gut wie jeden Alltagsweg mit dem Fahrrad. Man kann fast sagen, dass ich in den letzten Jahren regelrecht Fahrradsüchtig geworden bin.
Welche Gründe sprechen gegen das Fahrradpendeln?
Eigentlich keine. Warum also fährt nicht jeder mit dem Fahrrad? Ich höre immer wieder Argumente, weswegen jemand nicht den weiten Weg bis zum Job mit dem Fahrrad fahren kann. Es gibt sicher Argumente die gegen ein Pendeln auf dem Fahrrad sprechen. Einige will ich hier auflisten und einige versuche ich auch zu entkräften.
- Zu lange Strecken sind zu zeitintensiv und zu anstrengend.
- Fahrradfahren ist gefährlich.
- Das Wetter ist ein großer Faktor. Regen, Wind und Kälte sind unangenehm beim Radfahren. Das hält viele vom täglichen Pendeln ab.
- Man kommt verschwitzt an und hat weder die Möglichkeit noch die Lust zu duschen.
- “Ich muss doch Morgens die Kinder in die Kita bringen!” – Ja, der Kindertransport ist auch immer wieder ein Argument gegen Fahrräder.
Strecken von bis 5, 10 oder sogar 15 Kilometer sind aus meiner Sicht von beinahe jedem gesunden Erwachsenen nicht zu viel verlangt (mir ist bewusst, dass es Ausnahmen gibt). Sicher es erfordert etwas Training, aber ihr werdet schnell merken, dass die Anstrengungen mit den Wochen weniger werden. Mit der Zeit, wenn man regelmäßig fährt, wird man auch entsprechend schneller und alles geht ein bisschen einfacher.
Bei Strecken von über 25 Kilometern ist es tatsächlich so, dass man gut abwägen muss ob das Pendeln mit dem Drahtesel sinnvoll ist. Hierbei ist dann wohl primär der sportliche Aspekt entscheidend.
Im Straßenverkehr werden Fahrräder immer als unsicheres Verkehrsmittel betrachtet. Ja, es gibt zu viele tödlich verunglückte Radfahrer im Straßenverkehr. Als Radfahrer kann man aber einige Dinge beachten. Man muss umsichtig sein und jederzeit mit Fehlern von anderen rechnen, insbesondere bei abbiegenden Kraftfahrzeugen. Das Sicherheitsgefühl kommt mit der Zeit. Es entwickelt sich eine Routine, so dass man weniger gestresst ist und selbstbewusster wird.
Ein wichtiger Faktor ist für mich die Sichtbarkeit beim Rad fahren. Insbesondere bei Dunkelheit helfen neben einer guten Fahrradbeleuchtung auch noch gut reflektierende Bekleidung.
Dann ist auch das Wetter ein Faktor der viele abschreckt. Ja ich gebe zu, im ersten Jahr als Fahrradpendler bin ich auch nur bei Sonnenschein und ohne Wind gefahren. Regen und Kälte haben mich abgeschreckt und auch noch heute ist es so, dass es mich manchmal Überwindung kostet, wenn ich morgens sehe, dass es regnet. Aber es gibt mittlerweile gute Funktionsbekleidung speziell für Radfahrer. Selbst gute und teure Funktionskleidung zum Radfahren ist immer noch günstiger als Auto fahren.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine gute Softshelljacke für viele Lebenslagen ausreicht. Wenn es doch mal sehr heftig regnet, dann kann man eine dünne Regenjacke überziehen.
Selbst mit den Fahrradsachen aus dem Discounter (Lidl und Aldi habe ich getestet) habe ich ordentliche Erfahrungen gemacht. Damit meine ich insbesondere Jacken, Handschuhe und Trikots. Über den Helm ziehe ich bei Regen und in der Dunkelheit ein Regencover. Das hält den meisten Regen am Kopf ab und in der Dunkelheit ist man gut zu erkennen. Schutzbleche helfen im übrigen auch sehr. Sie halten sowohl den Fahrer, als auch den Antrieb des Fahrrads etwas sauberer. Allerdings ist es wie so oft im Leben: Man muss es auch wollen und den inneren Schweinehund überwinden.
Die Anstrengung und damit der verbundene Schweiß sind tatsächlich ein Argument welches man häufig hört und liest. Nicht jeder Arbeitnehmer hat Duschen im Büro und noch weniger Arbeitnehmer haben Lust zu duschen und sich umzuziehen. Glücklicherweise stellt mein Arbeitgeber eine Dusche zur Verfügung. Ich nutze das Angebot und dusche einfach nach meiner Fahrt. Das dauert nicht lange und ich fühl mich frisch und sauber. Anderen Radpendlern reicht es auch sich einfach schnell am Waschbecken im Badezimmer frisch zu machen. Die verlorene Zeit beim Duschen bzw. frisch machen lässt sich bei vielen leicht mit der Zeit der Parkplatzsuche vergleichen. Allerdings braucht man sich bei Strecken bis 5 Kilometern keine Sorgen zu machen. Solche Distanzen sind auch Schweißfrei zu bewältigen, wenn man ein wenig ruhiger fährt. Bei längeren Strecken kann auch ein Pedelec helfen ohne zu schwitzen ins Büro zu kommen. Falls man jedoch, so wie ich, die Möglichkeit hat im Büro zu duschen, dann kann man Ersatzkleidung sehr gut in einer Gepäckträgertasche transportieren. Viele nutzen auch Rucksäcke auf dem Fahrrad, weil das Gepäck so immer am Körper ist. Es gibt spezielle Fahrradrucksäcke, die auch für den Transport von Notebooks geeignet sind.
Letztlich ist da noch der Transport der Kinder. Das geht nur mit dem SUV oder dem Mini Van? Nein, es gibt Fahrradkindersitze, sehr gute Fahrradanhänger und auch tolle Lastenräder mit denen Kinder transportiert werden können. Mit einem Anhänger und mit dem Lastenrad kann sogar noch der Einkauf nach Feierabend erledigt werden. Zugegeben ein Lastenrad kostet viel Geld, besonders mit motorisierter Unterstützung, aber es ist nur ein Bruchteil der Kosten für ein Auto.
In meinem Fall haben wir für den Transport der Kinder einen Fahrradanhänger. Hier ist Platz für beide Kinder und der Anhänger wird morgens von mir bzw. meiner Frau in der Kita abgestellt und angeschlossen. Unsere Fahrräder haben jeweils eine eigene Kupplung montiert. Nach Feierabend kommt wieder ein Elternteil (derjenige der zuerst Feierabend hat) und holt den Anhänger und die Kinder nach Hause.
Der Vorteil eines Kinderfahrradanhängers ist aus meiner Sicht, im Vergleich zu Fahrradsitzen für Kinder und zu den meisten Lastenanhängern, dass die Kinder auch bei Wind und Wetter trocken und warm am Ziel ankommen. Im Winter legen wir eine warme Decke in den Anhänger, damit niemand frieren muss.
Das Auto kommt bei uns so nur noch 1 bis 2-mal im Monat für den Großeinkauf, den Baumarktbesuch oder im Familienurlaub zum Einsatz.
Welche Gründe gibt es also für das Pendeln mit dem Fahrrad?
- Ohne Zweifel ist Fahrradfahren günstiger als Autofahren. Das ist sicher eines der Argumente PRO Fahrrad.
- Genauso ist es mit den gesundheitlichen Aspekten. Wer Fahrrad fährt, der bewegt sich und Bewegung ist Gesund.
- In der Stadt ist man im Berufsverkehr auf dem Fahrrad häufig schneller als die Autos.
- Fahrradfahren entspannt.
- Das Fitnessstudio kann bei vielen reduziert, wenn nicht sogar ersetzt werden.
- Man hat nie Sorgen einen Parkplatz zu finden.
- Radfahren ist gut für die Umwelt
Ein wichtiges, vielleicht sogar das wichtigste, Argument für den Einsatz vom Fahrrad zum pendeln ist aus meiner Sicht die Möglichkeit Geld zu sparen, denn Fahrradfahren ist schlicht und einfach günstiger. Bei der Benutzung eines Fahrrad lässt sich wirklich viel Geld sparen. Ein solides und zuverlässiges Pendlerfahrrad kostet heute ungefähr 1.000 Euro. Ist man auf ein Pedelec angewiesen, dann muss man ungefähr mit mindestens 2.500 bis 3.000 Euro rechnen. Im Unterhalt kostet ein Fahrrad zwar auch ein paar Euros, aber es ist nicht vergleichbar mit den laufenden Kosten eines Autos. Ein Auto kostet, abhängig von der Fahrleistung, in der Regel mehrere hundert Euro pro Monat (Spritkosten, Versicherung, Steuern, Werkstattkosten). Allerdings ist es natürlich so, dass wenn man weiterhin ein Auto unterhält, einige Kosten nicht einfach verschwinden. Angenommen ihr fahrt den ganzen Sommer mit dem Fahrrad ins Büro und euer Auto steht bei euch vor der Wohnung, dann will die Versicherung selbstverständlich weiterhin bezahlt werden. Aber ihr spart natürlich an den Tagen an denen ihr mit Fahrrad fahrt selsbstverständlich eine Menge Spritkosten. Interessant in dem Zusammenhang ist der Einsparrechner vom ADFC.
Übrigens: Auch als Radpendler könnt ihr in der Steuererklärung die Pendlerpauschale angeben und steuerlich absetzen.
Radfahren ist sehr gesund, das bestätigen unzählige Wissenschaftliche Studien und Quellen. Eine Diät oder eine dauerhafte Ernährungsumstellung kann super durch Radfahren ergänzt werden, um Gewicht zu verlieren. Fahrradfahren ist nicht so belastend für die Knie und Füße wie zum Beispiel Joggen. Für mich im laufe der letzten Jahre ist ein weiterer Pluspunkt, dass man sich einfach Fit fühlt. Die Bewegung tut unheimlich gut. Ich persönlich gehe einer Bürotätigkeit nach und bewege mich vermutlich Bedingt durch die Zeit am Schreibtisch viel zu wenig. Da ist das Radfahren ein super Ausgleich. Außerdem sorgt das strampeln auf dem Drahtesel für ein verbessertes Immunsystem.
PKW-Pendler mögen es nicht gerne hören, aber im Berufsverkehr ist man sehr häufig einfach schneller und agiler als Kraftfahrzeuge. Es ist nicht selten, dass ich auf dem Radweg einfach am Stau vorbei fahre oder einen direkteren Weg durch einen Park fahren kann. Das ist natürlich immer abhängig von der Verkehrslage und auch ein wenig von der eigenen Leistungsfähigkeit, aber in der Großstadt bei einer Strecke von bis zu 10 Kilometern ist aus meiner Sicht das Fahrrad zumindest in der “Rush Hour” schneller. Bei Überlandfahrten von einem Ort zum anderen ist das vermutlich nicht so. Aber egal was für ein Weg mit dem Auto gefahren wird. Beim Auto kommt es tendentiell häufiger zu unvorhergesehen Problemen die sich nicht kalkulieren lassen wie zum Beispiel Staus. Beim Fahrrad als Verkehrsmittel ist das unwahrscheinlich. Termine lassen sich besser planen, weil ich mit dem Fahrrad immer in etwa die gleiche Dauer unterwegs bin.
Auch wenn es viele Autofahrer nicht glauben können. Das ist unter Umständen natürlich ein rein subjektives Gefühl, aber man ist auf dem Fahrrad einfach ausgeglichener. Der Stress der sich im Berufsalltag auflädt der verpufft regelrecht mit der körperlichen Anstrengung. Man fühlt sich regelrecht erholt, wenn man morgens ins Büro kommt oder nach Feierabend die Haustür aufschließt. So lässt man den Ärger wirklich im Büro und kommt entspannt zu Hause an. Das sorgt in meinen Augen für ein viel glücklicheres und ausgeglicheneres Familienleben.
Ein Fitnessstudio brauche ich im übrigen auch nicht. Ich fühl mich dank des täglichen Radfahrens einfach gut. Manche setzen sich nach Feierabend ins Auto und fahren ins Fitnessstudio, nur um hier auf dem Ergometer oder beim Spinning zu schwitzen. Das ist sicher ein Extrembeispiel, aber ich kenne tatsächlich solche Menschen. Beispielsweise kann man auch einfach mal nach Feierabend einen kleinen Umweg fahren. So lässt sich manchmal beispielsweise einfach ein Stück raus aus der Stadt radeln und die Natur genießen. Für mich persönlich ist das einfach schöner als irgendwo auf dem Ergometer zu hocken. Mit der Zeit wird man auch deutlich sportlicher und besser auf dem Rad, dadurch wird möglicherweise der eigene Horizont erweitert, weil man erkennt was für schöne Ecken die eigene Heimat bietet.
Ich kann mich noch erinnern an die Zeiten als ich noch mit dem Auto ins Büro fuhr. Der tägliche Wettkampf um die besten Parkplätze. Man ist jeden Tag gehetzt um auch ja nicht zu spät zu kommen. Wer nämlich zu spät kam, der bekam keinen Parkplatz in der Tiefgarage oder direkt vor dem Büro, dann musste man weite Strecken zu Fuß gehen. Das kostete dann wieder viel Zeit und wenn man einen wichtigen Termin hatte, dann erhöhte das gleich mal den Stresslevel, wie weiter oben bereits dokumentiert. Als Radfahrer kann ich auch ruhig mal einen Tag etwas später los fahren. Einen Platz für den Drahtesel, um diesen irgendwo anzuketten habe ich bisher jedes mal gefunden. Und das sogar direkt vor dem Büro. Ein weiterer Aspekt ist, dass falls ich nach Feierabend noch einkaufen muss, ebenfalls dem Parkplatzkampf aus dem Weg gehen kann. Ich stell das Fahrrad einfach direkt vor den Bäcker oder den Discounter und muss mich nicht um den Parkplatz kümmern.
Ein weiteres Argument pro Radfahren ist natürlich der Umweltschutz. Das Fahrrad ist einfach viel Umweltfreundlicher, weil es keine Abgase ausstößt, weil es keine Staus verursacht, weil es keinen Lärm verursacht. Der Radverkehr ist gemeinsam mit dem zu Fuß gehen die klimafreundlichste Fortbewegungsart.
Abschließend möchte ich noch zum Thema “gesehen werden” und zum Thema Helm einige Worte verlieren. Ich sehe immer wieder Fahrräder die bei Dunkelheit ohne Beleuchtung gefahren werden, das ist sehr gefährlich. Als Radfahrer teilt man sich häufig die Wege mit anderen Verkehrsteilnehmern. Häufig mit Autos, aber auch Fußgängern und anderen radelnden. Es ist wirklich unheimlich wichtig, dass man immer gut gesehen wird. Das gilt insbesondere für schlechte Sichtverhältnisse und Dunkelheit. Daher is eine gute Fahrradbeleuchtung ist sehr wichtig. Wenn ihr noch ein sehr altes Fahrrad mit klassischen Glühlampen fahrt, dann prüft ob eine Umrüstung auf LED-Beleuchtung machbar ist. Es lohnt sich wirklich und ist auch nicht zu teuer. Erstmal ist es auch zweitrangig, ob ihr euch für LED-Akkuleuchten oder gleich für eine Dynamobeleuchtung entscheidet.
Wie auch weiter oben beschrieben könnt ihr auch bei der Kleidung und Ausrüstung für bessere Sichtbarkeit sorgen. Zum Beispiel mit reflektierenden Elementen am Fahrrad, Rucksack oder am Helm.
Der Helm ist auch ein weiteres Diskussionsthema, sogar innerhalb der Community der Radfahrer. Viele lehnen den Fahrradhelm grundsätzlich ab, andere wiederrum vertreten den Fahrradhelm mit militanter Ernsthaftigkeit. Ich benutze ihn mittlerweile bei fast allen meinen Fahrten, aber ich bin absolut gegen eine Helmpflicht. Meiner Meinung würde eine allgemeine Helmpflicht für Radfahrer eine noch größere Hemmschwelle – auf das Fahrrad zu steigen – bedeuten.
Zusammenfassung
Jeder der darüber nachdenkt auf das Fahrrad umzusteigen für den täglichen Weg zur Arbeit sollte sich einfach trauen. Es ist am Anfang auch überhaupt nicht wichtig welches Fahrrad hierfür genutzt wird oder ob man sich wie ein Fahrer der Tour de France kleidet. Einfach draufsteigen und losfahren! Man darf sich nicht vom Wetter bremsen lassen. Ja, es kostet Überwindung.
Fahrrad fahren kann unheimlich Spaß machen und es ist sehr gesund, also traut euch.